Zurück zu den Projektphasen. Was kam nach der Recherche?
Die Musik. Und danach haben wir uns damit befasst, wie man psychedelische Erfahrungen für die Bühne gestalten kann. Oft sieht das klischiert aus: Jemand läuft mit der Hand vor dem Gesicht rum. Wir wollten andere Bilder finden. Danach feilten wir nochmals an der Musik.
Das Stück ist eine Oper. Wie kam es dazu?
Vor fünf Jahren habe ich zusammen mit einer Freundin LSD genommen. Auf dem Trip sagte ich aus Witz: Ich schreibe eine LSD-Oper. Ein paar Monate später wurde ich für eine Residency des Europäischen Netzwerks der Opernakademien (ENOA) akzeptiert, ein Zusammenschluss der grössten Opernhäuser Europas. Ziel war es, dass sich Leute mit Oper befassen, die out of the box denken. In meiner Gruppe waren queere Menschen, Leute mit Fluchthintergrund, Leute, die rassifiziert werden. Man sagte uns, dass wir für eine Oper locker viel Geld kriegen würden. Das hat mich ermutigt – auch wenn es am Ende anders kam.
Warum?
Ich habe gemerkt, dass die Oper zwar auf institutioneller Ebene eingesehen hat, dass sie entspannter werden muss. Praktisch ist es aber doch so, dass die Vorstellungen, wie eine Oper auszusehen hat, dann doch sehr konkret sind. Tut sie das nicht, gibts kein Geld.
Du hast trotzdem deine eigene Oper geschrieben.
Yes! Es hat Jahre gedauert und bedurfte der Hilfe vieler Co-Kollaborateur*innen. Aber nun ist es geschafft!
Ich habe auf Youtube in einen Ausschnitt reingehört. Ich dachte, die Musik würde düster klingen. Aber da sind viele witzige Passagen. Wie hast du die Balance zwischen ernst und lustig gefunden?
Am Ende der dritten Phase haben wir die Rohfassung des Stücks verschiedenen Leuten gezeigt. Unter ihnen war ein Wissenschaftler, der das Vokabular psychedelischer Erfahrungen erforscht. Er meinte: Vergesst nicht, dass Trips auch sehr lustig sind. Das haben wir uns zu Herzen genommen. Und auch der Tod ist ja nicht nur düster.
Nicht?
Nein. Es gibt zwar die Diagnose, aber danach auch das Leben. Es kann sein, dass du trotz einer unheilbaren Krankheit noch lange lebst.
Was hat dich an dieser Recherche am meisten überrascht?
Wie eine Psychedelika-assistierte Therapie funktioniert. Ich dachte, dass man während des Trips eng begleitet würde, dass jemand ständig fragen würde, wie es dir gerade geht. Ein international anerkannter Schweizer Experte auf diesem Gebiet, Peter Gasser, erklärte mir, dass jede Person – hoch dosiert – auf ihre eigene Reise gehe. Erst wenn man wieder vom Trip zurück ist, beginnt die Arbeit. Erst dann setzt man sich damit auseinander, was man gesehen hat und warum es einem schwerfällt, loszulassen im Leben. Das sei wie eine Übung zum Sterben, meinte ein Palliativarzt zu dieser Form der Therapie.
Deine Protagonistin absolviert so eine Therapie. Ist dein Stück eine Art Kollektivtherapie für uns und unsere Angst vor dem Tod?
Ich wollte die Hauptfigur gezielt so gestalten, dass sich das Publikum mit ihr identifizieren kann und so auch mit eigenen Erfahrungen. Vielleicht schaut eine Person zu, die selbst bereits jemanden beim Sterben begleitet hat und dies nun über meine Figur aus einem anderen Blickwinkel betrachten kann. Und ja, ich erhoffe mir, dass die Leute nach der Vorstellung das Gefühl haben: Ich habe geübt, zu sterben. In diesem Sinne ist es eine Kollektivtherapie.
Wie hat dich die Arbeit an diesem Stück verändert?
Ich bin nun 45 Jahre alt und habe das Gefühl: I grew up. Der Tod meiner Mutter hat viel verändert, gerade die Beziehung zu mir selbst. Wer bin ich ohne die Person, die mein Leben abgesehen von mir am meisten geprägt hat? Ich bin nun eher dazu bereit, zu akzeptieren, dass ich sterben werde. Ich musste dafür viel mit mir diskutieren oder streiten. Aber am Ende kann es doch so einfach sein: Wir sterben. The end. Aber wir verkomplizieren es gerne.
Wie blickst du nun anders auf den Tod?
Früher dachte ich, dass Sterben etwas sei, das wir tun, und der Tod uns passiere. Aber: We live through death. It’s an experience. Der Tod passiert uns nicht, er ist eine Reise an einen anderen Ort, auch wenn dieser Ort ein Nirgendwo, nothingness, ist.
Was hast du bei der Recherche zum Tod über das Leben gelernt?
Dass ich schon jetzt mit dem Tod durchs Leben gehe. Der Tod ist mein Begleiter. Wenn ich nun einer Person sage, dass ich sie liebe, kommt das von einem ganz anderen Ort, gerade weil ich die Endlichkeit des Lebens die ganze Zeit spüre. Macht das Sinn?
Ja …
Ein Beispiel: Kurz bevor meine Mutter gestorben ist, haben wir am Telefon gestritten, über Geld. Es war unser letztes Gespräch. Damals hatte ich das Gefühl, fest im Leben zu stehen. Ich dachte, dass wir Zeit hätten, uns zu versöhnen. Kurz danach ist sie gestorben. Diese Erfahrung hat mich verändert, zu wissen: Du weisst einfach nie, ob morgen jemand stirbt. Nun, da ich mit dieser Erkenntnis durchs Leben gehe, fühlen sich Interaktionen anders an … wahrer … verbundener.
Klingt wie bei Leuten, die nur knapp dem Tod entkommen sind und danach bewusster durchs Leben gehen.
Das ist mir tatsächlich passiert. Ich hatte einen Autounfall und bin fast gestorben. In der Zeit danach fühlte ich mich unglaublich lebendig. Alles schien brandneu, das Essen schmeckte so gut wie noch nie, ich schätzte die Möglichkeit, leben zu können. Irgendwann habe ich dieses Gefühl verloren und alles war wie vorher. Aber ich werde mich nie an den Gedanken gewöhnen, dass Leute einfach so sterben können. Vor dieser Tatsache muss und werde ich immer Respekt haben.