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Erklärstück

Zwischenbilanz der Intendanz

Seit dem Beginn unserer Theaterleitung ist fast eine Spielzeit vergangen. Dieser Beitrag dient uns zur Evaluation unserer Vision «Schritt für Schritt ins Jahr 2028» – und er dient auch als Checkliste für die Zukunftsplanung.

Kathrin Veser und Miriam Walther, 25. Juni 2025

Kathrin Veser (links) und Miriam Walther. Copyright: Hannah Gottschalk

Programm

Unsere Vision beschreibt die Gessnerallee als einen Ort mit internationaler Strahlkraft, einen Ort der Debatte, einen Ort für künstlerisches Schaffen aus dem In- und Ausland, eine Werkstatt für den künstlerischen Umgang mit Barrierefreiheit sowie für den Wissenstransfer und mehr. Um einen solchen Ort zu kreieren, ist ein breites Angebot von verschiedenen öffentlichkeitswirksamen und experimentellen Formaten nötig sowie lokale, nationale und internationale Vernetzung.

Neben grossen, internationalen Gastspielen hat die Gessnerallee im vergangenen Jahr Produktionen, Labore, Workshops und Showings von lokalen Künstler*innen präsentiert und ein vielfältiges, neugieriges Publikum angezogen. Sämtliche Vorstellungen waren gut besucht und meistens sogar ausverkauft. Mit den Gastspielen «Ich bin Pinguin» von Leute wie die, «PERSPECTIVES» von Anna Chiedza Spörri und der Wiederaufnahme von «COLD» von Fatima Moumouni und Laurin Buser konnten in Zusammenarbeit mit Schule und Kultur und Schulkultur Kindergarten- und Schulklassen das Theater besuchen. Diese neu aufgegleiste Zusammenarbeit fördert unseren Anspruch der Altersdiversifizierung des Publikums. Auch hier erfreuten uns die durchgehend ausverkauften Vorstellungen.

Darüber hinaus ist das Haus vielzählige Kooperationen mit Festivals eingegangen. Dadurch konnte das Programm durch verschiedene kuratorische Perspektiven aus verschiedenen Disziplinen (Clubkultur, Film, experimentelle Musik, Tanz, Oper) bereichert werden.

Neben der lokalen Vernetzung ist uns der internationale Austausch wichtig, er hat in dieser ersten Spielzeit Fahrt aufgenommen und soll weiter verstärkt werden. Um nachhaltig und langfristig Strukturen zu verändern, Bande zu knüpfen und Ästhetiken weiterzuentwickeln, gab es Angebote in den Bereichen Wissenstransfer, Weiterbildung und künstlerische Forschung. So zum Beispiel das Relaxed-Performance-Labor für neuro divergente Künstler*innen, die Rechtsberatung für Künstler*innen durch ARITA (Association for Rights in the Arts) und den Perspektivwechselworkshop mit Expert*innen für Inklusion von Sensability und dem Gessnerallee-Team.

Ein zentraler Fokus lag im vergangenen Jahr auf Aesthetics of Access (Ästhetiken der Barrierefreiheit), und dies werden wir in den kommenden Jahren beibehalten. Ziel dieses kreativen Prozesses ist es, behinderten und Tauben/gehörlosen Besucher*innen ein ebenso ästhetisches Theatererlebnis anbieten zu können wie dem nichtbehinderten, hörenden Publikum.

Um diese Auseinandersetzung spürbar zu machen, wurden für das Gastspielprogramm Arbeiten ausgewählt, die sich künstlerisch mit Barrierefreiheit beschäftigen. Zudem wurden Künstler*innen der lokalen Freien Szene bei der Produktion ihrer Arbeiten mit zusätzlichen finanziellen Mitteln für die Entwicklung von Aesthetics of Access im künstlerischen Prozess unterstützt. Dadurch konnten in Arbeiten Audiodeskriptionen, deskritive Übertitel und Relaxed Performances entwickelt werden.

Damit Gelerntes im Bereich Aesthetics of Access nicht vergessen geht, liegt besondere Aufmerksamkeit auf der Dokumentation von Wissen und der Weitergabe von Good-Practice-Beispielen. Dafür wird das Netzwerk von Access-Berater*innen mit gelebter Erfahrung weiter aufgebaut sowie die Auseinandersetzung mit Aesthetics of Access im Programm weitergeführt und intensiviert.

Kommunikation

Die Kommunikationsstrategie baut seit der Saison 2024/25 einerseits auf Klarheit, Sorgfalt und Wiedererkennung – andererseits wollen wir Themen, die verhandelt werden, mit der notwendigen Umsichtigkeit setzen und die öffentliche Debatte bereichernd fördern. Die Kommunikationsmittel sollen Zugang und Gewohnheiten schaffen und entwicklungsfähig sein. Ziel dabei ist es, ein breites und diverses Publikum anzusprechen und langfristig ans Haus zu binden.

Ein grosser Teil der Vorbereitungsarbeit bestand darin, eine neue CI/CD zu entwickeln sowie eine lesbare, gut navigierbare und barrierearme Website zu konzipieren und umzusetzen. Sie wird mit Fokus auf Barrierefreiheit kontinuierlich überprüft und weiterentwickelt.

Zudem gibt die Gessnerallee seit der Saison 2024/25 eine eigene Zeitung heraus. Diese wird sowohl digital wie im Print publiziert. Sie dient unter anderem zum Teilen von Wissen, zum Benennen von kulturpolitischen Anliegen und als Mittel zur Förderung von Transparenz. Der ebenfalls neu lancierte Wochenbrief gibt jeden Mittwoch Einblicke in unser Programm, in die Arbeit des Teams und der Künstler*innen und gibt Empfehlungen für ein reichhaltiges Kulturleben in Zürich, national und international.

Eine nicht unwesentliche Massnahme war nach wiederholten Rückmeldungen in der Vorbereitungszeit das Vorhaben, deutlich sichtbar zu machen, was im Inneren dieses langen orange-farbenen Gebäudes stattfindet. Deshalb hängen seit August Banner und Fenstertafeln mit den Wörtern Tanz, Theater, Performance und Musik an der Fassade zur Strassenseite.

Die Grundbausteine sind damit gelegt, und wir können mit mehr Fokus und im engeren Austausch mit den Künstler*innen im Bereich der Publikumsentwicklung an der Bindung spezifischer Zielgruppen arbeiten.

Fazit

Nach dem ersten intensiven Jahr des Ankommens (Theaterleitung und ein Drittel des Teams), der Implementierung der neuen strategischen Fokusbereiche im Programm, der Kommunikation und der Organisation sowie des Wiederaufbaus und der Stabilisierung der Stall6-Gastronomie streben wir im zweiten Jahr an, den Fokus verstärkt auf die qualitativ hohe Umsetzung des künstlerischen Programms, das Gastgeber*innentum, die Vernetzung mit der Stadt, national und international zu legen – sowie auf Fundraising und kulturpolitische Lobby- und Netzwerkarbeit.

Im Zentrum steht dabei immer und ganz entscheidend auch die Organisation – und damit vor allem das Team. Den Balanceakt zwischen organisatorischer Stabilität und kontinuierlicher Wandelbarkeit, um auf verschiedenste Ansprüche und Gegebenheiten reagieren zu können, werden wir wie im ersten auch im kommenden Jahr in kleinen, effektiven und umsichtigen Schritten fortführen. Eckpfeiler sind Klarheit bei den Rollen, Verantwortlichkeiten und Arbeitsprozessen sowie die Pflege der entwickelten zugewandten Debatten-, Feedback- und Fehlerkultur.

In den letzten Monaten wurde zudem an unterschiedlichen Stellen an der Barrierefreiheit im Gebäude gearbeitet. Insbesondere die Aufgabe, einen stufenlosen Zugang zum ersten Stock zu ermöglichen, bleibt von höchster Priorität. Last, but not least wurde und wird die kontinuierliche Diversitätsentwicklung des Personals über Ausschreibungen, die explizit Personen mit Diskriminierungserfahrung ansprechen, oder über Nachwuchsförderung innerhalb des Teams weiterhin vorangetrieben.

Wir sind sehr zufrieden mit dem eingeschlagenen Kurs und dem bisher Erreichten – und freuen uns enorm über die positiven Rückmeldungen vonseiten Publikum, Künstler*innen und Team.

Zum Beitrag Schritt für Schritt ins Jahr 2028

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