Liebe*r Leser*in
Die Zeiten sind katastrophal. Für viele von uns ist es im Moment schwierig, ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Wir können die gegenwärtigen in hohem Masse verstörenden und beängstigenden Entwicklungen auf der Welt nicht abwenden und müssen akzeptieren, dass sie künftig noch schlimmer werden. It’s dark. It’s true.
Was wir können, ist Sorge tragen, dass Stimmen gehört und Geschichten aus einem anderen Blickwinkel darüber erzählt werden, wie im Kleinen daran gearbeitet wird, trotz der fehlenden Hoffnung einer Zukunft zu begegnen. Wir können den Gedanken, Themen und Personen eine Bühne geben, denen auf absehbare Zeit womöglich Bühne um Bühne wieder genommen werden wird. Alles Perspektiven, die erst im Verlauf der letzten Jahre wichtige Sensibilisierungen zu Geschlechtervielfalt und Selbstermächtigung, sexualisierter und häuslicher Gewalt, Missbrauch von Substanzen und mentaler Gesundheit erreicht haben - sowie Aufklärungsarbeit in Bezug auf tief sitzenden strukturellen Sexismus, Rassismus und Ableismus geleistet haben. Wir können dafür sorgen, dass diese Erzählungen weiter stattfinden, in Räumen, in denen wir gemeinsam Trost finden und zusammen lachen und weinen können.
Darum sind wir glücklich über die Vielfalt der Perspektiven, Stimmen und Formate, die in der zweiten Ausgabe der neuen Zeitung der Gessnerallee zu Wort kommen.
Wir freuen uns über die neue Kooperation in Form eines Rezensions-Formats mit dem inklusiven Medienprojekt «Reporter:innen ohne Barrieren». In ihrem Auftrag besuchte Reporterin Kim Pittet das Showing der Arbeit «Mutterzungen» von Rebekka Bangerter. Zudem findet eine einmalige Zusammenarbeit mit der «Papierlosen Zeitung» statt. Ausgewählte Beiträge aus der aktuellen Ausgabe finden Sie bei uns in einer speziell dafür gesetzten Klammer.
Ausserdem erwarten Sie Beiträge entlang inhaltlicher Schwerpunkte des künstlerischen Programms in den Monaten Dezember 2024 bis Februar 2025. Sie behandeln Auseinandersetzungen rund um die Darstellung von Körpern und die Inszenierung von Blicken und von Sexualität, die wahrscheinlich weitaus vielfältiger sind, als dem Grossteil der Bevölkerung bekannt ist. In der Analyse «Der Lesbian Gaze und der Blick als Einladung» ordnet die Dramaturg*in Isabel Gatzke ein, wie der Blick in Tanz- und Theateraufführungen Dynamiken von Macht und Unterwerfung, Anziehung und Distanz beeinflusst. Dramaturg*in und Wissenschaftler*in Nele Solf hat für uns in einer sorgfältigen Komposition auf drei Seiten verschiedene Erfahrungen zur Wahrnehmung von nicht-normativen Körpern und zu Möglichkeiten von Selbstermächtigung versammelt. Im Gespräch zwischen Dramaturg*in Noa Winter und Amelia Lander-Cavallo von der Company Quiplash berichtet die Künstler*in über das Zusammenspiel einer Dragshow und Audiodeskription für sehbehinderte Personen. Und von Jessica Sigerist, Gründer*in des queerfeministischen Sexshops «untamed.love», erfahren wir im Interview von Journalistin und Kommunikationschefin Rahel Bains, was ein Sexshop und Theater miteinander zu tun haben.
Auch freuen wir uns über wiederkehrende Formate oder Stimmen: In unserem Kolumnen-Format «Ein Gedanke zu Theater» schildert die Dramatikerin Laura de Weck, warum für sie das Theater bis heute ein Ort ist, an dem alles beschämt Geheimgehaltene, Versteckte, Sexuelle, Tabuisierte offen ausgespielt werden kann. Die Künstler*in und Musiker*in Rada Leu beglückt uns ein weiteres Mal mit einem Comic, der uns Einblicke in potenzielle Stadtgespräche ermöglicht. Die Fotografin Hannah Gottschalk nimmt uns erneut in die Welt des Fotoessays mit. Dieses Mal erleben wir die Sichtbarmachung eines sonst für das Publikum versteckten Vorgangs, die Demontage der grossen Tribüne. In jeder Ausgabe lassen wir eine bekannte Persönlichkeit in die astrologische Kristallkugel blicken, die uns in Form eines Theater-Horoskops unserem Schicksal näherbringt. Dieses Mal weist uns die Stand-up-Komiker*in und Performancekünstler*in Edwin Ramirez die Zukunft.
Die Zukunft findet jedoch nicht statt, wenn junge Menschen fehlen. Zürichs Theaterszene blüht, doch im Kinder- und Jugendbereich gibt es Nachholbedarf. Warum das so ist, erfahren wir im Beitrag der Journalistin Jenny Bargetzi.
Last, but not least: Wenn es draussen dunkler und dunkler wird und kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist, ist es umso wichtiger, die Mechanik und die Magie der Beleuchtungstechnik zu kennen. Die Technikerin Corinne Werffeli teilt in ihrem Beitrag Schritt für Schritt ihr Wissen zum Schaffen von poetischen Räumen mit Scheinwerfern und Lichtpult.
Vielen Dank für Ihre Zeit und Ihre Zugewandtheit.
Rahel Bains, Kathrin Veser, Miriam Walther