Liebe*r Leser*in
Wir starten in die Spielzeit 2025/26 und damit in das zweite Jahr der Zeitung der Gessnerallee. Ein Schwerpunkt bleibt für uns die vertiefte Auseinandersetzung mit Ästhetiken der Barrierefreiheit und dem Anspruch, behinderten und Tauben/gehörlosen Künstler*innen und Gäst*innen die Gessnerallee so angenehm wie möglich zu gestalten. Das macht sehr viel Spass, ist aber nicht immer einfach. Die sehbehinderte Künstlerin und Behindertenrechtsaktivistin Fia Neises schreibt in «Ein Gedanke zu Theater»: «Wenn wir eine Lösung für etwas eigentlich Unmögliches suchen … dann hält auch hier das Theater her.» Gleichzeitig hätten Theaterinstitutionen noch viel zu lernen.
Eine der grossen Herausforderungen von Theatern hinsichtlich Barrierefreiheit liegt in der jeweiligen Architektur des Gebäudes selbst. Viele Häuser sind alt, denkmalgeschützt oder wurden für eine andere Nutzung gebaut. Gemeinsam haben viele, dass Menschen mit Behinderungen nicht mitgedacht wurden. Die Journalistin Marguerite Meyer zeichnet in ihrem analytischen Beitrag am Beispiel der Gessnerallee das Spannungsfeld zwischen Barrierefreiheit, Denkmalschutz und Verwaltungsprozessen nach.
Von der Gebäudearchitektur zur Bühnenästhetik: Claire Cunningham, eine der bedeutendsten britischen behinderten Künstlerinnen, ist diesen Herbst mit ihrer Produktion «Songs of the Wayfarer» zu Gast an der Gessnerallee. Die Autorin und Journalistin Anna Miller hat ein Porträt über die schottische Performerin und Choreografin geschrieben, die Krücken nicht nur als Hilfsmittel nutzt, sondern als zentrales künstlerisches Ausdrucksmittel in ihren Produktionen.
Auch im Herbst zu Gast ist die in Frankreich lebende Choreografin und Tänzerin Nadia Beugré. Die Journalistin Giulia Bernardi hat sie zum Interview getroffen. Gemeinsam vertiefen sie sich in die Entstehungsgeschichte des neuen Stücks «Epique! (pour Yikakou)». Sie sprechen über Herkunft und Erinnerung, die (Re-)Konstruktion vergangener Ereignisse, über Abwesenheit und Leere.
Leerstellen gibt es auch in der Verlagswelt: Vor mehr als einem Jahrzehnt haben Anne-Laure Franchette, Patrizia Mazzei und Gloria Wismer das Kollektiv volumes in Zürich gegründet. Gemeinsam entwickelten sie eine Plattform und ein Archiv mit dem Fokus, unterrepräsentierte Praktiken von selbst verlegenden Künstler*innen und Kleinverleger*innen sichtbarer zu machen. In einer speziell gesetzten Klammer erfahren wir mehr über die Entstehungsgeschichte von volumes. Zudem schildern Sabrina Fernández Casas und Patricio Gil Flood vom Kollektiv MACACO PRESS, was passiert, wenn Performance und Verlagswesen zusammenkommen.
Auch in diesem Jahr können Sie sich über bereits bekannte Autor*innen und Formate erfreuen: Die Fotografin Hannah Gottschalk nimmt uns in einem Fotoessay mit ins Atelier der Künstlerin Ceylan Öztrük. Die Künstler*in und Musiker*in Rada Leu beglückt uns wieder mit einem Comic, diesmal über die Kulturszene Moldaus. Weil wir gerne neue Unterhaltungsformate entwickeln, freuen wir uns sehr auf die regelmässige Fashion-Kolumne. Den Auftakt macht die Regisseurin, Kostümdesignerin, Kompo nistin, Sounddesignerin und Schauspielerin Zainab J Lascandri. Denn Mode und Theater verbindet eine lange Geschichte.
Zum Schluss gibt uns Dramaturgin Isabel Gatzke einen vertieften Einblick in den Programmschwerpunkt «(Un)gentle Learning», der den Start der neuen Saison markiert. Dabei geht es um die Auseinandersetzung mit Prozessen des Übergangs, des Trauerns und des Lernens. Denn: Alltägliche sowie radikale Momente des Überschreitens und der Veränderung prägen nicht nur individuelle Biografien, sondern sind auch mit Blick auf das Geschehen in der Welt allgegenwärtig.
Rahel Bains, Kathrin Veser, Miriam Walther