Die Gessnerallee kam immer zuerst in der Agenda
Trotz der Kritik bleibt er dem Haus stets treu. Besonders Mitte der Nullerjahre, als sich im Zuge eines Intendantenwechsels die Zahl der Vorstellungen pro Jahr plötzlich verdreifacht, zeigt sich, wie eingespielt das Team ist. «Es lief sehr viel mit einem extrem guten technischen Team. Das brachte viel Identität.»
Auch Küde mag seinen Job als – wie er sagt – «Bodenpersonal». Seine Hauptaufgabe ist es, mit den Gruppen die Bühnenbilder zu produzieren und ihnen beim Aufbau zu helfen. Immer wieder ist er auch für den Abenddienst zuständig und später auch für die Ausbildung der Jugendlichen, die an der Gessnerallee die Lehre zur/zum Veranstaltungsfachfrau/fachmann absolvieren. Während 20 Jahren ist er zusätzlich im Vorstand des Vereins Theaterhaus Gessnerallee. «Ich mochte die Abwechslung und Vielseitigkeit, die der Job mit sich brachte. Mit der Zeit verfestigte sich auch die Beziehung zu den Gruppen, die immer wieder kamen.»
Es seien viele berührende Momente entstanden. Ein Höhepunkt war eine Produktion der belgischen Gruppe Peeping Tom, für die Statisten gesucht wurden. «Ich war einer davon, und das war schon sehr speziell für mich», erinnert sich Küde. Es habe aber auch Dramen gegeben, wie so oft im Theater. Proben, bei denen die verantwortlichen Personen überfordert waren, nicht mehr geschlafen haben, auf der Bühne aufeinander losgegangen sind. Unfälle gab es bis auf einen Bandscheibenvorfall eines Mitarbeiters zum Glück keine schweren. «Eigentlich eine gute Bilanz.»
Für André kommt die Gessnerallee immer an erster Stelle in der Agenda, dann die Familie und zum Schluss der zweite Job als Freelancer für andere Theaterproduktionen. Der Job sei auch für die Beziehung nicht einfach gewesen, fügt Küde hinzu. Schuld sind vor allem die unregelmässigen Arbeitseinsätze, die mit wenig Vorlaufzeit geplant werden. Oft wird um die Einsatzzeiten gestritten. Küde: «Da dachte ich mir manchmal: Wieso tust du dir das an?»
Früher sei klar gewesen: Wenn man im Theater arbeitet, dann zu 120 Prozent, sagt André. Heute sei das anders. «Das ist doch gut so und auch ein Zeichen einer gewissen Professionalisierung», ergänzt Küde. Nicht zuletzt durch die Covid-Pandemie habe man gemerkt, dass man sich selbst Sorge tragen muss und dass die Ressourcen nicht endlos sind.
Alle 20 Jahre nackte Körper
Die zwei Veranstaltungstechniker haben die Veränderungen in der Theaterlandschaft seit der Jahrtausendwende vor allem von innen miterlebt. Die Diskurse, die zu Beginn von der Gessnerallee angestossen worden seien und dann immer mehr von aussen gekommen seien, die zunehmende Verwaltung des Betriebs.
Wenn früher das japanische Staatsballett ans Theater Spektakel eingeladen worden sei, habe man drei Fax-Nachrichten geschickt – und danach seien sie aufgetreten. Heute seien fünf Leute beteiligt, man fülle fünf Ordner und trotzdem könne die Aufführung danach womöglich nicht stattfinden.
«Das Leben wurde komplizierter, wir mussten immer mehr auf Befindlichkeiten achtgeben, alles brauchte mehr Zeit.» Früher habe man einfach Theater machen wollen. «Achtung, fertig, los. Wir hatten Glück, eine extrem geile Zeit erwischt zu haben», sagt André.
Er erinnert sich an die geheimen Keller dieser Stadt, noch bevor es die Gessnerallee und das Theater Spektakel gab. Wo Performances gezeigt wurden, die in dieser Form erst mehr als 10 Jahre später auf den grossen Bühnen zu sehen waren. «Blut anzapfen und daraus Blutwürste machen zum Beispiel», sagt André. Im Theater habe es schon immer Wellen gegeben. Eine Zeit lang seien alle nackt auf der Bühne gestanden. «Dann war die Welle vorbei und 20 Jahre später waren für ein paar Jahre wieder alle nackt.» Dann arbeiteten plötzlich alle Kunstschaffenden mit Wasser – 15 Jahre später wieder das Gleiche. Jetzt sind wir gerade in einer Naturwelle. Die wird in 20 Jahren wahrscheinlich wieder kommen.»
Obwohl André und Küde sich seit 40 Jahren Stücke anschauen, gibt es trotzdem immer wieder diese einen Momente. In denen fühlen sie sich wie kleine Jungs, die zum ersten Mal ein Theater besuchen. «Das ist mir vor wenigen Monaten an den Schweizer Tanztagen bei einer Show einer Künstlerin aus Genf passiert, die mich total fasziniert hat. So etwas passiert zwar nicht mehr so häufig, aber wenn, dann finde ich es grossartig», sagt André. Man dürfe ihre Generation als Zielgruppe nicht vergessen, sagt Küde. Zu seiner Pensionierung hat er eine Saisonkarte für die Gessnerallee geschenkt bekommen. Auf eine solche hofft André zu seinem Abschied diesen Herbst ebenfalls.
Am liebsten auf Lebenszeit.