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Den Jungen fehlt die Bühne

Zürichs Theaterszene blüht, doch im Kinder- und Jugendbereich gibt es Nachholbedarf. Es braucht mehr Unterstützung und neue Wege, um junge Menschen zu erreichen.

Jenny Bargetzi, 11. Dezember 2024

Vor sieben Jahren kam sie zum LAB Junges Theater Zürich: Deborah Imhof. Copyright: Andrea Ebener

Sie sind zwischen 17 und 18 Jahre alt, tragen Retro-Sportjacken, weite Jeans und dunkelblaue Adidas-Turnschuhe. Sie heissen Sabina, Luna und Noah. Drei Teenager am Ende ihrer Gymnasialzeit, die sich mit ihrer Maturaarbeit auseinandersetzen. Darin geht es um Sabinas zerrüttete Beziehung zu Yasmina, ihrer ehemaligen besten Freundin aus der Sekundarschulzeit. Es drängen sich Fragen auf, die wohl jede Person kennt: Was bedeutet es, ein*e Freund*in zu sein, und wer steht mir zur Seite, wenn sich die Welt um mich herum ständig verändert, als wäre sie ein reissender Fluss?

Von dieser Freund*innenschaft handelt das Stück «Gossips» von Eva Rottmann, das am 15. November 2024 im Theater Winkelwiese Premiere feierte. Sieben Wochen lang haben die jungen Akteur*innen täglich geprobt, um anderen jungen Menschen das menschliche Miteinander und das Auf und Ab in Freund*innenschaften zu zeigen. Sie gehören zum LAB Junges Theater Zürich, einem der wenigen Orte in der Stadt für junges Theater. Deborah Imhof, Co-Leiterin des LAB, sagt: «In Zürich fehlt eine Bühne für junge Menschen.» Dabei ist fast jede fünfte Person in Zürich unter 20 Jahre alt.

Zürich hinkt beim Kinder- und Jugendtheater nach

Gegründet wurde das Theaterlabor LAB vor zehn Jahren. Seitdem können sich junge Menschen im Alter von 14 bis 24 Jahren unter professioneller Anleitung im Theaterspielen ausprobieren. Einen festen Proberaum hat das LAB aber nicht; alle paar Jahre zieht es aufgrund der Zwischennutzungen weiter. Aktuell befindet sich der Proberaum im Zürcher Kreis 4, direkt neben der Seebahn-Kolonie. Er ist gross und hell, blauer Tanzboden liegt auf einer Hälfte der Fläche. An den Wänden hängen selbst gezeichnete Porträts, die während der letzten Schnupperproben für ein Jahresprojekt entstanden sind. Für dieses Projekt, das im Juni 2025 aufgeführt werden soll, probt das LAB derzeit einmal pro Woche in der Gessnerallee.

Deborah Imhof sitzt an einem Tisch in der anderen Hälfte des Raumes. Imhof leitet das LAB zusammen mit Elina Wunderle und Matthias Nüesch. Sie erzählt, wie sie vor sieben Jahren zur freien Theatergruppe kam, nachdem sie in verschiedenen Schweizer Theatergruppen gearbeitet hatte. Und wie sie vor zehn Jahren zusammen mit Katarina Tereh «Die Voyeure», heute unter dem Namen «Supervistas» bekannt, nach Zürich holte – ein Projekt, das vor allem jungen Menschen bis 25 Jahren den Zugang zum Tanz und Theater erleichtern soll.

Es ist offensichtlich: Imhof kennt die Schweizer Theaterszene in- und auswendig. Und diese ist vielfältig. Das spiegelt sich in den drei Hauptsäulen der Schweizer Theaterszene wider: den Stadttheatern, der Freien Szene und den zahlreichen Amateur*innengruppen.

«Eine etablierte Jugend- und Kindertheater-Szene ist keine Hexerei.»

Deborah Imhof

Die Stadt Zürich bietet mit rund 18 Bühnen mehr Theatermöglichkeiten als jede andere Stadt in der Schweiz. Doch das Angebot für junge Menschen ist begrenzt. Kinder können im Theater Purpur, im Kinder- und Jugendtheater Metzenthin oder in einigen anderen Nischenprogrammen auftreten. Für Jugendliche gibt es deutlich weniger: Das Schauspielhaus Zürich mit der Offenen Bühne und speziellen Jugendproduktionen und das LAB Junges Theater Zürich, das in der Gessnerallee und dem Theater Winkelwiese auftritt, sind die bekanntesten Orte dafür.

Doch viele dieser Spielstätten für Kinder und Jugendliche kämpfen mit Herausforderungen: Sie verfügen nur über kleine, begrenzte Räume, oder die Programme für junge Menschen erscheinen eher als Ergänzung zum Hauptprogramm der jeweiligen Häuser. Zudem hängt die Kontinuität solcher Angebote stark von der jeweiligen Intendanz ab – ein Leitungswechsel kann Jugendstücke schnell aus dem Programm werfen. Die Gessnerallee setzt mit ihrer neuen Leitung auf Produktionen für ein junges Publikum, muss sich in diesem Bereich jedoch erst noch etablieren.

Hürden abbauen mit Emily Magorrian, Co-Leiterin des Bereichs Theater und Tanz des Gemeinschaftszentrums Buchegg. Copyright: Andrea Ebener

Im Vergleich zu Bern oder Basel hinkt Zürich in der Kinder- und Jugendtheaterszene hinterher. Imhof sagt: «Das Junge Theater Basel bietet seit Jahrzehnten Produktionen und Kurse für Jugendliche an.» Daneben gebe es das Vorstadttheater, welches Profi-Stücke für Kinder und Jugendliche zeige, und weitere Initiativen, Jugendclubs, Foyerprojekte und partizipative Projekte an verschiedenen anderen Häusern. Auch Bern verfügt mit drei grossen Theaterhäusern – der Jungen Bühne Bern, dem Schlachthaus Theater Bern und den Bühnen Bern – über ein starkes Netzwerk für junges Theater.

Für Deborah Imhof ein Beweis: «Eine etablierte und kulturpolitisch anerkannte Kinder- und Jugend- Tanz- und -Theaterszene ist machbar und keine Hexerei.» Warum also steckt Zürich im Nischendasein fest? Schliesslich sei vonseiten junger Menschen ein Interesse am Theaterspielen vorhanden, sagt Imhof. «Nach den letzten Schnupperproben wollen 20 Personen beim nächsten Projekt mitmachen, und unsere Vorstellungen sind immer sehr gut besucht.»

Die Szene ist da, aber sie ist fragmentiert

Emily Magorrian vom GZ Buchegg sieht ein Problem in der Zersplitterung: «Das Angebot ist sehr fragmentiert.» Magorrian ist Theaterpädagogin und seit Oktober Co-Leiterin des Bereichs Theater und Tanz des Gemeinschaftszentrums Buchegg, eines der Angebote in Zürich, die professionelle Produktionen für ein junges Publikum zeigen. Es seien viele Bemühungen da, von der Szene selbst und seitens der Stadt, sagt sie. Doch die verschiedenen Häuser mit unterschiedlichen Spielzeiten würden besonders Familien die Planung erschweren. «Was fehlt, ist ein festes Haus für Kinder- und Jugendtheater.»

Die Stadt Zürich hat reagiert. Ein neues Förderkonzept ermöglicht seit Anfang Jahr Tanz- und Theaterhäusern und Akteur*innen der Freien Szene, sich für mehrjährige Förderbeiträge zu bewerben. Dafür stehen pro Jahr 6,5 Millionen Franken zur Verfügung. Davon fliessen 3,9 Millionen an die Institutionen und 2,6 Millionen an Gruppen sowie Einzelpersonen. Das LAB erhält daraus
150'000 Franken über vier Jahre. Die längerfristigen Förderungen sollen die Tanz- und Theaterszene vielfältiger machen, Künstler*innen stärker einbeziehen und künstlerische Profile schärfen.

«Jugendlichen und Kindern müssen wir auf Augenhöhe begegnen.»

Emily Magorrian

Zudem plant die Stadt Zürich ein neues Kulturzentrum speziell für junge Menschen: das Tanz- und Theaterhaus für Kinder und Jugendliche, kurz KJTT. Hier sollen Kinder und Jugendliche Tanz und Theater erleben, entdecken und selbst mitmachen können. Denn obwohl das Angebot für junges Publikum in den letzten zehn Jahren gewachsen ist, kann es die hohe Nachfrage nicht decken, wie Damian Hohl, Leiter der Kulturräume Stadt Zürich, sagt. Das KJTT-Haus solle das Angebot und die Kinder- und Jugendtheaterszene nachhaltig stärken und in der Kulturlandschaft sichtbarer machen. Darüber hinaus ist geplant, dass das KJTT-Haus als Produktions- und Gastspielort für die professionelle Freie Szene dient. Es soll Kooperationen und Gastspiele von lokalen, nationalen und internationalen Gruppen ermöglichen und fördern.

Ursprünglich sollte es dieses Jahr eröffnen, doch nun verschiebt sich der Start auf frühestens 2026. Die Stadt prüft derzeit, ob die Mühlehalde in Höngg als vorübergehender Standort genutzt werden kann. Während rund eines Jahres testet der Verein Nistplatz das Konzept bereits in den Räumen der Mühlehalde, um Erfahrungen für den allfälligen späteren Betrieb zu sammeln.

Künstlerische und geschäftsführende Co-Leiterin der Gessnerallee: Kathrin Veser. Copyright: Andrea Ebener

Für die Theaterschaffenden bleibt das KJTT-Haus noch eine Unbekannte. Es stehe noch so vieles in den Sternen, sagt Deborah Imhof vom LAB. Was es aber brauche, sei ein Haus mit genügend Platz, mit einem regelmässigen, langfristigen Programm und Projekten mit und für ein junges Publikum – unabhängig von wechselnden Intendanzen. «Bisher wurde viel Pflästerlipolitik betrieben. Überall passierte ein bisschen was für den Kinder- und Jugend-Tanz- und -Theaterbereich. Aber das grosse Ganze fehlt.»

Auch flexible Preise, einfache Anmeldeverfahren und ein zugänglicher Standort seien entscheidend. «Ein Theater mit Aussenraum im Quartier ist leichter erreichbar als eines an einer Hauptstrasse.» Das sei entscheidend, denn der erste Schritt ins Theater könne besonders für Neulinge herausfordernd sein, sagt Emily Magorrian vom GZ Buchegg. «Die ungeschriebenen Regeln des Theaters sind oft nicht sofort verständlich und müssen erst erlernt werden.»

Um mehr junges Publikum zu gewinnen, sei es wichtig, diese Hürden abzubauen. Magorrian schlägt vor, neue Theaterformate zu entwickeln, die weniger strenge Regeln haben und den Kindern mehr Möglichkeiten zur Interaktion bieten. «Und wir müssen Kindern und Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen – ohne erhobenen Zeigefinger.»

«Wir hinterfragen Denkmuster – bei Kindern und Erwachsenen.»

Kathrin Veser

Dass sich das Theater gewandelt hat, bestätigt auch Kathrin Veser. Sie sagt: «Das Kinder- und Jugendtheater ist komplexer geworden.» Veser leitet seit der neuen Spielzeit gemeinsam mit Miriam Walther die Gessnerallee in Zürich. Sie setzen stärker als bisher auf Kinder- und Jugendtheater: «Wir wollen ein Publikum von 5 bis 105 Jahren erreichen. Wir verstehen das als Spielfeld.»

Es gehe dabei um mehr als starre Moralvorstellungen, sondern darum, das Publikum für verschiedene Themen zu sensibilisieren und zum Nachdenken anzuregen. «Wir wollen etablierte Denkmuster hinterfragen – bei Kindern genauso wie bei Erwachsenen», erklärt Veser.

Kultur ohne Barrieren

Um diese neue Theaterkultur zu fördern und Kinder und Jugendliche aus allen gesellschaftlichen Schichten zu erreichen, arbeitet die Gessnerallee mit dem Netzwerk der Kulturverantwortlichen an den Zürcher Schulen zusammen. Diese Kulturverantwortlichen informieren über Kulturprogramme und helfen Lehrpersonen, Theaterbesuche zu organisieren, eigene Stücke zu erarbeiten oder andere Projekte umzusetzen. Derzeit gebe es rund 70 Kulturverantwortliche an 50 Schulen, sagt Hayal Oezkan, Leiter Kommunikation des städtischen Schulamtes Zürich.

Und das Angebot kommt an: Jedes Jahr nutzen 45'000 Schüler*innen die Schulkultur. Pro Person stehen 40 Franken zur Verfügung. Damit finanziere die Stadt neben Theateraufführungen auch 150 theaterpädagogische Projekte, 100 Schulkonzerte und 300 Lesungen jährlich, wie Oezkan sagt. Zürich nimmt dabei eine Vorreiterrolle ein, denn für die Schulen ist das Ganze kostenlos.

Davon profitierte in der Vergangenheit auch schon das LAB Junges Theater Zürich, wie Deborah Imhof sagt. Und die aktuellen Vorstellungen von «Gossips» wurden über «Schule&Kultur», ein Angebot des Kantons Zürich, das Kulturangebote für Schulen bereitstellt, ausgeschrieben. Mit Erfolg, denn die Vorstellungen sind fast ausverkauft, eine Zusatzshow findet statt. Das stimmt Imhof hoffnungsvoll: «Ich sehe, dass es funktionieren kann. Und ich hoffe, dass Zürich weiter an diesem Weg festhält.»

Zur Veranstaltung «Ich bin Pinguin»

In dieser Spielzeit zeigt die Gessnerallee ein Stück für Kinder ab 4 Jahren:

«Ich bin Pinguin» von Leute wie die

Eine Geschichte über Unterschiede in Freundschaft und Familie. Erzählt ohne ein gesprochenes Wort.

Mi. 22.01. 10:00–10:50 (ausverkauft)

Do. 23.01. 10:00–10:50 (ausverkauft)

Fr. 24.01. 10:00–10:50 (ausverkauft)

Sa. 25.01. 16:00–16:50 (Tickets)

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