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Porträt

Was will ich eigentlich?

Seit über 20 Jahren steht Rita Roof als Sängerin auf der Bühne – zu Beginn stets im Hintergrund, nie im Mittelpunkt der medialen Öffentlichkeit. Über ihren Weg zur Solokünstlerin und den Mut, sich Raum zu nehmen.

Giulia Bernardi, 3. Dezember 2025

«Wenn man Musik macht, dann geht es um das Fühlen und Forschen, es geht darum, Platz einzunehmen für das, was du gerade machst.» Copyright: Dominik Baur

Wenn man von Rita Roof im Netz liest, dann oft davon, dass sie als Sängerin bereits auf eine rund 20-jährige Karriere zurückblicken könne; dass sie aus der Schweizer Musikszene nicht mehr wegzudenken sei, allerdings lange im Hintergrund gestanden habe. Roof arbeitete als Backgroundsängerin für Musiker*innen wie Dodo, Nemo oder Steff la Cheffe, Reggae und Rap waren stets das Herzstück ihres Schaffens. Dann kam der «Paradigmenwechsel», wie sie ihn nennt: 2021 veröffentlichte sie «Stimm i mir», ihr erstes Album als Solokünstlerin. «Es war eine riesige Veränderung. Gleichzeitig war es auch the logical next step», sagt sie und fügt hinzu: «Sorry, dass ich manchmal Englisch rede, aber das ist die Sprache, in der ich denke», so Roof, die eigentlich Rita Nicole Tejada heisst und sich als Nici vorstellt, während wir an einem regnerischen Nachmittag in ihrem Atelier im Basislager in Zürich sitzen: sie im Hoodie, ich gegenüber von ihr bequem auf dem Sofa. «Ich musste mich erst mal daran gewöhnen, dass alle Augen auf mich gerichtet sind. Ich habe mich gefühlt wie eine Auszubildende, in einem Feld, in dem ich nicht neu bin.»

Spürbarer Druck

Das Neu-Lernen, Sich-neu-Kennenlernen hatte für Rita Roof auch seine Schattenseiten. Ihr erstes Album veröffentlichte sie bei Universal Music, eines der wenigen grossen und kommerziellen Labels der Schweiz. «Als Solokünstlerin hatte ich plötzlich ganz viele Aufgaben, die nichts mit meiner Leidenschaft zu tun haben», sagt Roof. «Zum Beispiel unzählige Meetings darüber, wie man mich am besten vermarkten kann – etwa als alleinerziehende Mutter, weil ich darüber singe. Diese Selbstinszenierung entspricht nicht meiner Persönlichkeit.» Auf die Liste der neuen Aufgaben kam auch der Social-Media-Content, den sie auf einmal liefern musste, «und das viel und regelmässig», sagt sie und schnippt bei jedem Wort mit den Fingern, um den schnellen Takt anzugeben.

«Es gibt so viele Musiker*innen, bei denen die Musik für sich spricht, ohne grosse Selbstinszenierung.»

Rita Roof

Sie wurde mit Erwartungen konfrontiert, die nicht neu waren, aber spürbarer wurden. «Ein Mann muss sich nicht schminken, muss sich nicht die Haare machen – oder zumindest nicht so wie wir. Männer spüren diesen Druck viel weniger, sie haben mehr Spielraum. Von uns Frauen wird erwartet, dass wir einfach cute sind.»

Sie habe früher zum Beispiel nie hohe Schuhe getragen, «und plötzlich hatte ich sie an». Auf diese Erwartungen, die von allen Seiten auf einen einprasseln, darauf müsse man vorbereitet sein, sagt Roof. «Ich war das definitiv nicht. Und dann kam ich zum entscheidenden Moment, in dem ich mich fragte: Was will ich eigentlich?»

Im Gespräch mit Rita Roof wird immer wieder deutlich, dass ein Teil von ihr lieber im Hintergrund bleiben, unscheinbar sein möchte, ein anderer gleichzeitig in den Vordergrund treten, für sich einstehen, den eigenen Weg gehen möchte. «Das ist natürlich ein Widerspruch», sagt sie und lacht. «Gleichzeitig gibt es so viele Musiker*innen, bei denen die Musik für sich spricht, ohne grosse Selbstinszenierung. Das ist ein Ziel, das ich mit meinem neuen Sound anstrebe.»

Langjährige Freund*innen

Den Kompromiss zwischen Hintergrund und Vordergrund, zwischen Selbstfindung und Selbstinszenierung scheint Rita Roof drei Jahre später gefunden zu haben. 2024 veröffentlichte sie die Singles «Härt verdient» und «So viel Platz» im Eigenlabel, eine Mischung aus Reggae, Soca und Mundart. «Wenn du selbst produzierst, wird es wieder zum Herzensprojekt, der kommerzielle Erfolg steht nicht mehr im Zentrum. Obwohl wir uns natürlich als professionelle Musiker*innen auch über die finanziellen Erfolge freuen.»

Und wenn Roof «wir» sagt, dann meint sie ihre Arbeitskolleg*innen, die sie vor 10 oder 20 Jahren kennenlernte, die über die Jahre zu Freund*innen wurden. «Ohne sie wäre vieles gar nicht möglich gewesen.» Unter diesen Leuten befinde sich zum Beispiel der Songwriter Reto Gfeller, mit dem das Schreiben von Texten unheimlich schön sei, oder der Musiker und Produzent Matthias Tobler, der nur Projekte annehme, hinter denen er stehen könne. Zu ihren Weggefährt*innen gehört auch ihre Band, darunter Beda Ehrensperger. «Wir kennen uns, seit wir Teenager waren, unsere Kinder sind zusammen gross geworden und wir haben weiss Gott wie viele Konzerte zusammen gespielt.» Oder Elias Kohli, der nicht nur Bass, sondern auch Gitarre und Piano spielen könne, und je nachdem, was sie brauche, switche er einfach das Instrument. «Mit ihm fühle ich mich wie die junge Nici, die einfach spielen und musikalisch Seich machen darf – aber auf hohem Niveau», sagt sie und klatscht in die Hände. «Wir müssen so viel lachen, das bedeutet mir die Welt.»

«Ich wurde immer wieder gefragt, warum ich denn für andere singe und nicht für mich selbst. Weisst du, was ich geantwortet habe? Uns nehmen sie ja nicht ernst.»

Rita Roof, Sängerin

Und dann sei da noch Marcel Suk. «Wir trafen uns immer wieder in den Backstage-Bereichen von gemeinsamen Shows, und er war mit uns allen vom ersten Tag an musikalisch und menschlich auf derselben Wellenlänge. Dass er nun in meiner Band spielt, war allerhöchste Zeit.»

In dieser Formation wird Rita Roof auch im Rahmen der Kinderkonzertreihe in der Gessnerallee auf der Bühne stehen. «Meine Band und Kinder sind die beste Combo. Die Bandmitglieder sind alle Papis, die wissen, wie’s geht. Wir sind wie erwachsene Kinder. Natürlich gibt es einen festen Rahmen, aber in diesem Rahmen spacen wir ab und sind unglaublich verspielt.» Das Konzert in der Gessnerallee sei das einzige, das sie im nächsten Jahr bisher gebucht habe. «Ich bin gerade an meiner Masterarbeit in Musikpädagogik dran. Darum möchte ich erst mal nicht zu viele Gigs annehmen.»

«Wir müssen so viel lachen, das bedeutet mir die Welt.» Copyright: Dominik Baur

Weibliche Vorbilder

Seit Ende der Nullerjahre steht Rita Roof auf der Bühne – doch wie kam es eigentlich dazu? «Ich habe mir schon als Kind die Stimmen von Erykah Badu und Lauryn Hill auf meinem Kassettenrekorder angehört und war überrascht, dass man so unterschiedlich singen kann», sagt Roof, während sie verschiedene Tonlagen nachahmt. «Ich hatte allerdings keine Musiker*innen in der Familie oder in meinem näheren Umfeld, weder in Guatemala noch in den USA oder in der Schweiz», erinnert sich Roof, die 1981 in Guatemala-Stadt geboren ist und im Alter von 11 Jahren nach Zürich zog. «Die Musikwelt war lange eine Traumwelt für mich. Meine erste Gesangsstunde fand ich schrecklich und ich wollte erst mal nichts mehr davon wissen.

Mit 19 ging ich dann doch an eine Gesangsschule, und da hat das Ganze angefangen.» Trotzdem habe sie lange nicht vorgehabt, Solokünstlerin zu werden. Nach den ersten grossen Tourneen, die sie Mitte 20 als Backgroundsängerin machte, habe sie gesehen, wie viel Arbeit das für die Leadsänger*innen bedeutete und wie wenig das mit ihrem Alltag als alleinerziehende Mutter vereinbar wäre. «Mein Sohn war klein und ich nach jedem Konzert todmüde.» Aber auch die fehlenden Vorbilder damals und die Frauenfeindlichkeit im Musikbetrieb spielten eine Rolle. «Es gab im Hip-Hop, Rap oder Reggae praktisch keine Frauen, und die wenigen, die es gab, die wurden nicht ernst genommen oder waren auf der Bühne erst gar nicht erwünscht.»

«Wenn man Musik macht, dann geht es um das Fühlen und Erforschen, es geht darum, Platz einzunehmen für das, was du gerade machst.»

Rita Roof, Sängerin

Gleichzeitig war diese Ungleichheit in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit kaum präsent. «Ich wurde immer wieder gefragt, warum ich denn für andere singe und nicht für mich selbst. Weisst du, was ich geantwortet habe? Uns nehmen sie ja nicht ernst.» Ob man auf der Bühne repräsentiert werde oder nicht, sei wahrscheinlich auch persönlichkeitsabhängig. «Ich war damals nicht so selbstbewusst, wie man es in dieser Branche vielleicht sein müsste.» Heute gebe es mehr weibliche Vorbilder, und doch bemerke sie noch immer einen riesigen gap: «Es gibt zwar viele Musikerinnen, aber davon schaffen es nur wenige an die Spitze, Stefanie Heinzmann oder Sophie Hunger vielleicht – oder das Duo Ikan Hyu, übrigens ein super Beispiel für Mut. Wenn ich die sehe, dann denke ich mir: Yes! Es hat sich was getan!»

Nach den ersten grossen Tourneen, die sie als Backgroundsängerin machte, hat Rita Roof gesehen, wie viel Arbeit das für die Leadsänger*innen bedeutete. Copyright: Dominik Baur

Eigener Raum

Für Rita Roof war es lange nicht selbstverständlich, Raum einzunehmen, anzuecken, laut zu sein. Das Aufwachsen in drei verschiedenen Kulturen habe dabei eine grosse Rolle gespielt. «Wenn du so aufwächst wie ich», sagt sie, «musst du jedes Mal neu herausfinden, was geht, was nicht geht, was von dir erwartet wird.» Auch die sprachliche Komponente spiele da mit. «Ich habe zuerst Spanisch gesprochen, dann Englisch, dann Deutsch. Ich hatte immer wieder das Gefühl, dass ich drei Sprachen kann, aber keine davon richtig.» Auch mit Schweizerdeutsch habe sie sich nie ganz sicher gefühlt, «doch dann bin ich da irgendwie reingerutscht, vielleicht auch, weil ich immer mit Mundartkünstler*innen unterwegs war».

Obwohl es ihr früher nie in den Sinn gekommen wäre, selbst Mundartkünstlerin zu werden, hat es etwas Ermächtigendes, dass sie sich diese Sprache dann doch aneignen konnte. Und ebenso ermächtigend wirkt es, wenn sie dem Widerstand trotzt, den sie über die Jahre «Rita Roof» Kinderkonzert So, 25.01., 15 Uhr zu spüren bekam.

Roof schildert eine Interviewsituation, in der sie erwähnte, dass sie stolz auf das sei, was sie als alleinerziehende Mutter geschafft habe. «Der Blick in die Kommentare des Artikels war erschreckend.» Diese Erfahrung der Ablehnung und Abwertung, mit der sich Frauen konfrontiert sehen, wenn sie der eigenen Arbeit öffentlich einen Wert zuschreiben, schwinge immer noch mit – das Gefühl, vorsichtig sein zu müssen, auch während des Gesprächs, das wir gerade führen, und doch: «Es gehört einfach dazu, sich den Raum zu nehmen, das habe ich mit der Zeit gelernt.» Diese Haltung habe für sie auch viel mit Musik zu tun. «Wenn man Musik macht, dann geht es um das Fühlen und Erforschen, es geht darum, Platz einzunehmen für das, was du gerade machst.»

Zur Künstlerin

Rita Roof wurde in Guatemala als Rita Nicole Tejada geboren. Wenig später wanderte ihre Familie in die USA aus, wo Rita elf Jahre lang lebte. Danach kam sie mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in die Schweiz. Reggae war für die weitgereiste Rita Roof schon immer eine Herzensangelegenheit. Und so startete sie ihre professionelle Karriere auch mit der Schweizer ReggaeEminenz Phenomden. Mit ihm tourte sie fünf Jahre lang. Seit 2001 ist Rita Roof Berufsmusikerin, seit 2012 auch Gesangspädagogin und seit 2021 ganz offiziell Solokünstlerin mit eigenem Album.

«Rita Roof»

Kinderkonzert
So, 25.01., 15 Uhr

Mehrmals kommen lohnt sich:

Fai Baba & Amour sur Mars

Kinderkonzert
So, 22.03., 15 Uhr

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