Wenn man von Rita Roof im Netz liest, dann oft davon, dass sie als Sängerin bereits auf eine rund 20-jährige Karriere zurückblicken könne; dass sie aus der Schweizer Musikszene nicht mehr wegzudenken sei, allerdings lange im Hintergrund gestanden habe. Roof arbeitete als Backgroundsängerin für Musiker*innen wie Dodo, Nemo oder Steff la Cheffe, Reggae und Rap waren stets das Herzstück ihres Schaffens. Dann kam der «Paradigmenwechsel», wie sie ihn nennt: 2021 veröffentlichte sie «Stimm i mir», ihr erstes Album als Solokünstlerin. «Es war eine riesige Veränderung. Gleichzeitig war es auch the logical next step», sagt sie und fügt hinzu: «Sorry, dass ich manchmal Englisch rede, aber das ist die Sprache, in der ich denke», so Roof, die eigentlich Rita Nicole Tejada heisst und sich als Nici vorstellt, während wir an einem regnerischen Nachmittag in ihrem Atelier im Basislager in Zürich sitzen: sie im Hoodie, ich gegenüber von ihr bequem auf dem Sofa. «Ich musste mich erst mal daran gewöhnen, dass alle Augen auf mich gerichtet sind. Ich habe mich gefühlt wie eine Auszubildende, in einem Feld, in dem ich nicht neu bin.»
Spürbarer Druck
Das Neu-Lernen, Sich-neu-Kennenlernen hatte für Rita Roof auch seine Schattenseiten. Ihr erstes Album veröffentlichte sie bei Universal Music, eines der wenigen grossen und kommerziellen Labels der Schweiz. «Als Solokünstlerin hatte ich plötzlich ganz viele Aufgaben, die nichts mit meiner Leidenschaft zu tun haben», sagt Roof. «Zum Beispiel unzählige Meetings darüber, wie man mich am besten vermarkten kann – etwa als alleinerziehende Mutter, weil ich darüber singe. Diese Selbstinszenierung entspricht nicht meiner Persönlichkeit.» Auf die Liste der neuen Aufgaben kam auch der Social-Media-Content, den sie auf einmal liefern musste, «und das viel und regelmässig», sagt sie und schnippt bei jedem Wort mit den Fingern, um den schnellen Takt anzugeben.
Sie wurde mit Erwartungen konfrontiert, die nicht neu waren, aber spürbarer wurden. «Ein Mann muss sich nicht schminken, muss sich nicht die Haare machen – oder zumindest nicht so wie wir. Männer spüren diesen Druck viel weniger, sie haben mehr Spielraum. Von uns Frauen wird erwartet, dass wir einfach cute sind.»
Sie habe früher zum Beispiel nie hohe Schuhe getragen, «und plötzlich hatte ich sie an». Auf diese Erwartungen, die von allen Seiten auf einen einprasseln, darauf müsse man vorbereitet sein, sagt Roof. «Ich war das definitiv nicht. Und dann kam ich zum entscheidenden Moment, in dem ich mich fragte: Was will ich eigentlich?»
Im Gespräch mit Rita Roof wird immer wieder deutlich, dass ein Teil von ihr lieber im Hintergrund bleiben, unscheinbar sein möchte, ein anderer gleichzeitig in den Vordergrund treten, für sich einstehen, den eigenen Weg gehen möchte. «Das ist natürlich ein Widerspruch», sagt sie und lacht. «Gleichzeitig gibt es so viele Musiker*innen, bei denen die Musik für sich spricht, ohne grosse Selbstinszenierung. Das ist ein Ziel, das ich mit meinem neuen Sound anstrebe.»
Langjährige Freund*innen
Den Kompromiss zwischen Hintergrund und Vordergrund, zwischen Selbstfindung und Selbstinszenierung scheint Rita Roof drei Jahre später gefunden zu haben. 2024 veröffentlichte sie die Singles «Härt verdient» und «So viel Platz» im Eigenlabel, eine Mischung aus Reggae, Soca und Mundart. «Wenn du selbst produzierst, wird es wieder zum Herzensprojekt, der kommerzielle Erfolg steht nicht mehr im Zentrum. Obwohl wir uns natürlich als professionelle Musiker*innen auch über die finanziellen Erfolge freuen.»
Und wenn Roof «wir» sagt, dann meint sie ihre Arbeitskolleg*innen, die sie vor 10 oder 20 Jahren kennenlernte, die über die Jahre zu Freund*innen wurden. «Ohne sie wäre vieles gar nicht möglich gewesen.» Unter diesen Leuten befinde sich zum Beispiel der Songwriter Reto Gfeller, mit dem das Schreiben von Texten unheimlich schön sei, oder der Musiker und Produzent Matthias Tobler, der nur Projekte annehme, hinter denen er stehen könne. Zu ihren Weggefährt*innen gehört auch ihre Band, darunter Beda Ehrensperger. «Wir kennen uns, seit wir Teenager waren, unsere Kinder sind zusammen gross geworden und wir haben weiss Gott wie viele Konzerte zusammen gespielt.» Oder Elias Kohli, der nicht nur Bass, sondern auch Gitarre und Piano spielen könne, und je nachdem, was sie brauche, switche er einfach das Instrument. «Mit ihm fühle ich mich wie die junge Nici, die einfach spielen und musikalisch Seich machen darf – aber auf hohem Niveau», sagt sie und klatscht in die Hände. «Wir müssen so viel lachen, das bedeutet mir die Welt.»
Und dann sei da noch Marcel Suk. «Wir trafen uns immer wieder in den Backstage-Bereichen von gemeinsamen Shows, und er war mit uns allen vom ersten Tag an musikalisch und menschlich auf derselben Wellenlänge. Dass er nun in meiner Band spielt, war allerhöchste Zeit.»
In dieser Formation wird Rita Roof auch im Rahmen der Kinderkonzertreihe in der Gessnerallee auf der Bühne stehen. «Meine Band und Kinder sind die beste Combo. Die Bandmitglieder sind alle Papis, die wissen, wie’s geht. Wir sind wie erwachsene Kinder. Natürlich gibt es einen festen Rahmen, aber in diesem Rahmen spacen wir ab und sind unglaublich verspielt.» Das Konzert in der Gessnerallee sei das einzige, das sie im nächsten Jahr bisher gebucht habe. «Ich bin gerade an meiner Masterarbeit in Musikpädagogik dran. Darum möchte ich erst mal nicht zu viele Gigs annehmen.»