Noa Winter: Amelia, in deiner Arbeit hast du viele kreative Hüte auf. Wer ist Quiplash und was macht ihr?
Amelia Lander-Cavallo: Ich bin eine Hälfte von Quiplash, die andere ist meine Ehefrau, Al Lander-Cavallo. Wir leiten die Company gemeinsam als queeres, behindertes Ehepaar. Unser Slogan ist: «Wir schaffen Räume für queere, behinderte Menschen.» Einerseits erarbeiten wir Shows wie «Unsightly Drag» und andererseits führen wir Schulungen und Beratungen zu verschiedenen Mitteln der Barrierefreiheit durch.
Unser Schwerpunkt ist die Audiodeskription. Da ich blind bin, ist Audiodeskription extrem wichtig für mich. Ich brauche sie als Barrierefreiheitsmittel, aber auch, weil sie Spass macht. Ich arbeite als Regisseur*in, Dramaturg*in und Performer*in. In «Unsightly Drag» trete ich in meiner Drag-Persona Tito Bone auf: ein durchschnittlicher, blinder, nicht-binärer, bisexueller Drag King. Tito moderiert den Abend und präsentiert eigene Shownummern. Al, die andere Hälfte von Quiplash, ist Teil des kreativen Teams und hat Titos Kostüm und Make-up entworfen. Auch arbeitet Al an der Dramaturgie und Regie mit und kümmert sich um alles, was im Hintergrund läuft, wie Logistik und Budget. Al sorgt dafür, dass die Show überhaupt zustande kommt.
Wie hat eure Arbeit an «Unsightly Drag» begonnen?
Quiplash und «Unsightly Drag» starteten 2019. Wir, sechs queere, blinde und sehbehinderte Menschen aus Grossbritannien, haben uns mit ein paar wirklich prominenten Drag-Performer*innen zusammengetan. Mit Adam All, Apple Derrieres und Mr. Wesley Dykes. Wir haben uns dann mit Berater*innen für Audiodeskription, die wir Access-Dramaturg*innen nannten, zusammengesetzt und uns gefragt: Wie bringen wir blinden Menschen die visuelle Kunstform Drag bei? Wie bringen wir die Leute dazu, das zu lernen? Was für Fragen wirft das auf? Wie können wir unser Wissen nutzen, um den sehenden Performer*innen beizubringen, in ihrer Praxis ein wenig inklusiver zu sein? Und was passiert, wenn wir Audiodeskription in Drag einbetten?
Die Show lief unglaublich gut. Wir hatten unsere Premiere auf dem Bloomsbury Festival in London. Es war erstaunlich. Ich würde sagen, mindestens die Hälfte des Publikums bestand aus behinderten Menschen.
Kannst du uns mehr über die Rolle von Audiodeskription in eurer künstlerischen Praxis erzählen?
Audiodeskription ist eine auditive Beschreibung von visuellen Inhalten und ein Barrierefreiheitsmittel für blinde und sehbehinderte Personen. Für die meisten von uns ist dieses Hilfsmittel der wichtigste Weg, um die Welt zu verstehen. Auf praktischer Ebene ist es einfach etwas, das ich brauche und sehr oft nutze. Wenn ich bei einer Show Regie führe, brauche ich Zugang dazu. Wenn in die Show keine Audiodeskription eingebaut ist, kann ich meine Arbeit nicht machen.
Auf der kreativen Ebene gibt es eine Vielzahl von wunderbaren Möglichkeiten, mit Audiodeskription umzugehen. Die Version, die viele Leute kennen, ist folgende: Sobald eine Show fertig geprobt und auf die Bühne gebracht wurde, kommt ein*e Autor*in für Audiodeskription dazu und erstellt das Skript, das auf die Dialoge, Lieder, die Geräuschkulisse etc. abgestimmt ist. Die Beschreibung wird dann eingesprochen und diskret über Kopfhörer gesendet.
Das ist eine Möglichkeit. Es gibt jedoch noch viele, viele, viele, viele andere. Wir arbeiten mit integrierter Audiodeskription. Diese ist vollständig in das Stück eingearbeitet. Man könnte sogar sagen, sie ist das Stück. Sie wird von allen gehört, die sie hören können, unabhängig davon, ob sie blind sind oder nicht. Und sie spiegelt sich im besten Fall in vielen anderen Barrierefreiheitsmitteln wider. Wenn es also Untertitel oder Gebärdensprache gibt, werden diese ebenfalls die gesprochene Audiobeschreibung enthalten.
Audiodeskription kann hier als kreatives Werkzeug genutzt werden, sie kann die Geschichte und die Charaktere unterstützen. Sie kann komisch, traurig oder politisch sein. Sie kann alles sein, was ein Stück braucht.