In ihrer Arbeit spürte Olympia die Kürzungen sofort. Gemeinsam mit anderen betrieb sie das queere Kultur- und Sozialzentrum Fortuna in einem ehemaligen Casino in Neukölln. Dort fanden nicht nur Dragshows, Performances oder Konzerte statt, dort trafen sich etwa auch Selbsthilfegruppen. Der Vertrag für das Fortuna konnte aufgrund der Kürzungen nicht verlängert werden. Aber auch ihre eigenen Projekte sind bedroht. «Die ses Jahr wurde jeder einzelne meiner insgesamt zehn Anträge auf Projektförderung abgelehnt», sagt Olympia, immer noch etwas fassungslos. «Das ist mir in meinen 13 Jahren in Berlin noch nicht passiert.» Eines der Projekte war eine Art Talkshow-Performance-Reihe mit jeweils vier Gästen, Künstler*innen und Menschen aus der Community. Als Budget fürs ganze Jahr wären 60000 Euro eingeplant gewesen. Damit hätte man die Raummiete, die Gehälter der Techniker*innen sowie Gagen für die Performer*innen bezahlt. All das fällt nun weg.
«Jede Form von Kürzung ist eine Katastrophe», sagt Henrion. Denn Tanz sei ohnehin unterfinanziert und geprägt von Prekarität und wirtschaftlicher Unsicherheit.»
Da die Kürzungen für das Jahr 2025 erst Ende November 2024 verkündet wurden, lagen plötzlich auch die Förderanträge für Projekte im Frühjahr auf Eis. Bereits im Normalfall sind Veranstaltungen der Freien Szene im Januar und Februar eher dünn gesät, da die Anträge für Förderung erst Ende Jahr gestellt werden, was die kurzfristige Planung erschwert. Doch dieses Jahr fand im Januar und Februar fast gar nichts statt. «Ich habe Ende Jahr meistens ohnehin schon ein Mini-Burn-out», sagt Olympia, «weil sich wegen der Geldervergabe die Projekte im Herbst ballen.» Dieses Jahr sei die Verteilung noch schwieriger.
Kürzungen als Teil des allgemeinen Rechtsrucks
Das befürchtet auch Marie Henrion vom Tanzbüro Berlin: «Unser alle zwei Monate erscheinendes ‹tanzraumberlin Magazin› konnte Anfang des Jahres erstmals keinen Kalender abdrucken, da die Berliner Orte für den Tanz ohne Planungssicherheit ins Jahr gestartet sind. Die Häuser wussten nicht, was im Januar und Februar stattfindet.»
Henrion kennt sich in der Berliner Tanzszene aus wie wenige andere. Denn das Tanzbüro Berlin übernimmt eine zentrale koordinierende Rolle für die Freie Tanzszene, indem es Öffentlichkeitsarbeit betreibt, einen Eventkalender für Tanzveranstaltungen veröffentlicht und sich um Fördermittel bemüht. Es agiert als Schnittstelle zwischen Szene, Politik und Öffentlichkeit. Das Tanzbüro lebt hauptsächlich von öffentlicher Förderung, die Kürzungen haben zu einem drastischen Personalabbau geführt. Von ursprünglich 12 Mitarbeitenden wurde auf etwa 6 bis 7 reduziert. Zu Beginn sollte das ganze Budget gestrichen werden, doch am Ende konnte das abgewendet werden. Aber: «Jede Form von Kürzung ist eine Katastrophe», sagt Henrion. Denn Tanz sei ohnehin unterfinanziert und geprägt von Prekarität und wirtschaftlicher Unsicherheit. Viele Tänzer*innen, mit denen Henrion in Kontakt ist, überlegen, ganz aus der Branche auszusteigen.
«Die Förderkürzungen sind vielleicht unser kleinstes Problem – sie sind Ausdruck einer viel grösseren politischen Entwicklung.»
Ein anderer Bereich, der offenbar im Fadenkreuz der Verwaltung war: Kulturprojekte, die sich gesellschaftlicher Vielfalt widmen. Diese waren überproportional von den Kürzungen betroffen. «Es ist schon auffällig, dass in dieser ersten Kürzungsliste ja einfach sämtliche Projekte, die irgendwie Diversität drüberstehen hatten, wegsollten», sagt Sandrine Micossé-Aikins. Sie leitet seit 2017 das Büro Diversity Arts Culture (DAC). Es unterstützt Berliner Kultureinrichtungen mit Beratung und Weiterbildung zu Antidiskriminierung, Diversität und Barriereabbau. Das DAC ist Teil der übergeordneten Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung, deren Budget vollständig gestrichen werden sollte. «Es kam völlig ohne Vorwarnung und ganz überraschend», sagt Micossé-Aikins.
Dass ihre Organisation dem Rotstift zum Opfer fallen sollte, hat Micossé-Aikins erst aus der Presse erfahren. Und das, obwohl das DAC in engem Austausch mit der Kulturverwaltung steht, weil es wichtige Aufgaben übernimmt, die sich aus den geltenden Antidiskriminierungsgesetzen ergeben. Die Kürzungen betreffen die gesamte Stiftung, die das DAC umfasst, mit rund einer Million Euro weniger Förderung – das sind 20 Prozent des Gesamtbudgets, das bei etwa 5 Millionen Euro liegt. Die konkreten Auswirkungen auf das DAC sind jedoch noch unklar.
Brisant an den Kürzungen, die Projekte mit dem Label «Diversität» betreffen, ist, dass die seit Anfang Mai vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte AfD im Jahr 2023 im Berliner Stadtparlament einen Antrag eingebracht hat, ebenjenen Projekten die Gelder zu streichen. Das zeigt für Micossé-Aikins, dass die Berliner Kulturkürzungen in einen weiteren Rechtsruck einzuordnen sind: «Die Förderkürzungen sind vielleicht unser kleinstes Problem – sie sind Ausdruck einer viel grösseren politischen Entwicklung.»
Sie verweist auf den bundesweit wachsenden Rechtsruck. Angriffe auf progressive Kulturarbeit seien Bestandteil einer bekannten rechten Strategie, wie sie auch aus anderen europäischen Ländern wie Ungarn oder Italien bekannt sei. Kultur werde nicht nur entwertet, sondern zunehmend als Feindbild dargestellt. Micossé-Aikins warnt, dass die Kürzungen und die politische Repression nicht nur ein finanzielles, sondern ein tiefgreifendes politisch-kulturelles Problem seien. Kürzungen von Fördermitteln seien häufig auch ein praktisches Mittel, die kulturelle Vielfalt und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Diversität zu untergraben.